Professionelle Identität

"Die Debatte, was denn nun das ,Eigentliche' der Sozialarbeit sei, ist daher ein Evergreen,

die professionelle Identität bleibt notorisch theoretisch ungeklärt." (Pantucek, 2007: 38)


Die theoretische Begründung Sozialer Arbeit als Profession und ihre Behauptung zwischen den abgesteckten Claims der traditionell verwurzelten Professionen ist von zahlreichen Reibungspunkten geprägt. Ebenso scheint die individuelle Realisierung einer professionellen Identität für Studierende der Sozialen Arbeit sowie die in den verschiedenen Handlungsfeldern agierenden Berufstätigen eine herausfordernde Aufgabe darzustellen, die nur über die Auseinandersetzung mit nicht restlos klärbaren Widersprüchen gemeistert werden kann. Sowohl der eigene Status gegenüber anderen Berufs- und Professionsgruppen, die Behauptung von Deutungshoheit und Entscheidungsbefugnis, aber auch die Legitimation des eigenen Handelns und die Darstellung der eigenen Wirkungsweise sind von der Art des eigenen Selbstverständnisses abhängig. Die Professionalisierungsdebatte im deutschsprachigen Raum spiegelt dabei unterschiedlichste Auffassungen wider, die durch sozialwissenschaftliche Positionen geprägt sind, deren Bandbreite auszugsweise anhand von schillernden Schlagworten wie „Semi- Profession“ (Etzioni, 1969), „bescheidene Profession“ (Schütze, 1992), „reflexive Profession“ (Dewe/Otto, 2002), „Profession ohne Eigenschaften“ (Kleve, 2000) oder „Menschenrechtsprofession“ (Staub- Bernasconi, 1995) illustriert werden kann. Den offiziellen Definitionen der Profession Soziale Arbeit (Vgl. DBSH, IFSW) zum Trotz wird das Feuer innerhalb der Professionalisierungsdebatte von neu erscheinenden Beiträgen am Leben erhalten.


Doch was bedeutet diese Debatte eigentlich für Studierende der Sozialen Arbeit?

Angesichts ihrer Allzuständigkeit in einer pluralen Gesellschaft scheint die Frage nach einer identitätsstiftenden Grundlage in der Sozialen Arbeit klarer und eindeutiger Antwortmöglichkeiten beraubt zu sein. Wenn Heiko Kleve mit Verweis auf Peter Pantuceks einleitende Aussage die Herstellung einer professionellen Identität als „Evergreen der Verunsicherung“ (Kleve, 2009: 109) bezeichnet, ist damit eine Herausforderung benannt, die sich bereits vielen Studierenden in der theoretischen Auseinandersetzung mit Ambivalenzen sozialarbeiterischen Handelns stellt: die verunsichernde Möglichkeit mitzudenken und auszuhalten, dass Entscheidungen und Positionierungen immer auch auf eine andere Art und Weise begründet und getroffen werden können. Da die sozialarbeiterische Berufspraxis durch Zeitdruck und einen gewissen Handlungszwang gekennzeichnet ist und sich aufgrund der jeweiligen, fallbezogenen Differenzierung einer Standardisierbarkeit entzieht (Vgl. Seithe, 2012: 54), bleibt die Frage nach Merkmalen einer professionellen Positionierung nicht nur von theoretischer Bedeutung, sondern erhält spätestens mit dem Berufseinstieg einen existenziellen Charakter. Denn SozialarbeiterInnen sehen sich dann einem Legitimationsdruck von verschiedenen Seiten ausgesetzt. Die überzeugende Darstellung der eigenen Arbeit und ihrer Wirkungen sowie die Rechtfertigung der eigenen Haltung und der getroffenen Entscheidungen gegenüber so unterschiedlichen Personenkreisen wie NutzerInnen bzw. KlientInnen, BerufskollegInnen, Vorgesetzten, beteiligten Akteuren und Institutionen im Sozialraum, aber auch den Kostenträgern wird damit zur professionellen Anforderung, die sich konkret auf die Weiterführung des vorgehaltenen Angebotes auswirken kann. Die Herstellung professioneller Identität unter unsicheren Bedingungen wird somit als individuelle Syntheseleistung den einzelnen VertreterInnen der Sozialen Arbeit abverlangt.

 

Im Umkehrschluss ließe sich daraus ableiten, dass eine professionelle Identität in einer akademischen Ausbildung erarbeitet und in der Praxis erprobt und gefestigt werden müsste. Dabei scheint das erworbene Wissen aus den relevanten Bezugswissenschaften eine untergeordnete Rolle einzunehmen (Vgl. Hanses, 2009: 290), nicht zuletzt aufgrund der Latenzzeit, bis neue wissenschaftliche Erkenntnisse in die Lehre Eingang finden und ihrer oftmals kurzen Halbwertszeit. Vielmehr zeichnet sich professionelle Identität durch eine geübte Reflexivität und fundierte Methodenkompetenz aus, die im Einzelfallbezug handelnd sowie sich selbst stetig aktualisierend hergestellt wird und wie Wolfram Fischer ausführt, sich auch in der Abgrenzung zu anderen ausdrückt: "Echte Professionelle sind solche, die einen festen Halt in ihrer disziplinären Identität der Sozialarbeit als Wissenschaft haben und sich somit in der Praxis nicht vereinnahmen lassen von den vordergründigen Interessen der Klienten oder der Arbeitgeber und dennoch ein hohes Engagement einbringen. Eine selbstbewusste Kooperationsfähigkeit in multiprofessionellen Arbeitsfeldern ist Bestandteil der professionellen Identität der Sozialen Arbeit." (Fischer, 2011: 5)

 

Wenn "gelungene Identität in der allerseltensten Fällen ein Zustand der Spannungsfreiheit [ist]" (Keupp et al., 2008: 274), dann sollten die auftretenden Spannungen keineswegs entmutigend wirken, sondern können bestenfalls produktiv genutzt werden, um die eigene professionelle Identität weiterzuentwickeln. Dazu lohnt es sich, mit anderen Studierenden, mit KollegInnen und im interdisziplinären Austausch den Diskurs zu suchen. Sozialwissenschaftliche Theorien können dabei ebenfalls eine gut Unterstützung bieten, eine eigene Haltung zu entwickeln, letztendlich bewährt sich die professionelle Identität aber doch in der persönlichen Positionierung in spezifischen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit. Die Entwicklung einer professionellen Identität kann somit als Ausdruck einer ganz persönlichen Auseinandersetzung mit den gegebenen Bedingungen unter Berücksichtigung fachlicher Wissensbestände gedeutet werden, die eine selbstbewusste Abgrenzung ermöglicht und neue Perspektiven eröffnet. Aus der Ver- und Bearbeitung der bestehenden Ambivalenzen kann eine ganz eigene professionelle Haltung erwachsen, die dazu ermutigt, eine eigene Spur zu hinterlassen.

 

"Gehe nicht, wohin der Weg führen mag,

sondern dorthin, wo kein Weg ist und hinterlasse eine Spur."

Jean Paul