Prof. Dr. Heiko Kleve


Unser erstes Interview fand am 08.04.2014 mit Prof. Dr. Heiko Kleve in Potsdam statt. In seinem Büro in der FH Potsdam, an der Heiko Kleve seit 2005 als Professor tätig ist, fasste er seine postmoderne professionstheoretische Positionierung für uns zusammen. Dabei verdeutlichte er unter Bezug auf konstruktivistische und systemtheoretische Gedanken, dass die Bestimmung einer Identität in der Sozialen Arbeit aufgrund pluralisierter Gesellschaften und der Arbeit mit nicht- trivialen Systemen stets von Ambivalenzen geprägt ist. Der Blick auf die "Erfolgsgeschichte" der Sozialen Arbeit und die formulierte Perspektive als "Profession der Zukunft" können dabei für Studierende und PraktikerInnen sicherlich selbstbewusstseinsstiftende Impulse darstellen!

Das Einzelinterview mit Heiko Kleve

Impulse

  • Soziale Arbeit ist eine Profession ohne bzw. mit vielen Eigenschaften.
  • Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung, die Pluralisierung von Lebensentwürfen und die aus Rationalisierungsprozessen entstehenden Verwerfungen produzieren Ambivalenzen, die von professionellen SozialarbeiterInnen auszuhalten sind und bearbeitet werden.
  • Soziale Arbeit ist selbst eine Reaktion auf Ambivalenzen der Moderne und bearbeitet die Probleme, die moderne Professionen erzeugen oder (noch) nicht bearbeiten können. Sie stellt eine postmoderne Profession dar.
  • Sozialarbeiterische Professionalität wird in der nicht standardisierbaren, fallbezogenen Ausgestaltung sozialer Hilfen unter Einbeziehung multiprofessioneller Wissensbezüge erkennbar.
  • Professionelle Identität ist eine individuelle Herstellungsleistung von SozialarbeiterInnen, die stets aktualisiert und reflektiert werden kann.

Kleve, H. [2000]: Die Sozialarbeit ohne Eigenschaften : Fragmente einer postmodernen Professions- und Wissenschaftstheorie Sozialer Arbeit. Freiburg: Lambertus.

 

  • fünf mögliche Positionierungen zur Identitätsfrage entsprechend des buddhistischen erweiterten Tetralemmas:
  1. Das Eine - Identitätspostulat: Herstellung einer klaren Identität durch abgegrenztes Berufsbild mit dauerhaften Selbstbeschreibungen.
  2. Das Andere - Akzeptanz der Identitätslosigkeit: Ungeklärte Identität, die sich in der Unmöglichkeit eindeutiger Beschreibungen und Abgrenzungen zeigt.
  3. Beides - Vereinbarkeit von Identitätspostulat und Identitätslosigkeit: Ambivalenzakzeptierende Zuschreibung einer offenen, eigenschaftslosen und kontextabhängigen Identität als Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Allzuständigkeit und ganzheitlichen respektive bio- psycho- sozialen Fallorientierung (universeller und spezialisierter Generalismus).
  4. Keines von Beiden - der Identitätsfrage vorausgehende Kontexte: Identität als Versuch einer deutlicheren Abgrenzung hinsichtlich unterschiedlicher ökonomischer, politischer und wirtschaftlicher Interessen. Während eine eindeutige Identität einer modernen Positionierung (1) entspricht, werden in einem postmodernen Verständnis Widersprüche einer offenen, ungeklärten Situation akzeptiert (2) und als plurale Selbstbeschreibungen (3) aufgenommen.
  5. All dies nicht und selbst das nicht - Negation bisheriger Positionen und deren Negation: In der praktischen Umsetzung bleiben SozialarbeiterInnen trotz ungeklärter Identitätsfrage in permanenter Vorläufigkeit handlungsfähig. Unsicherheiten und widersprüchliche Rollenanforderungen werden im Sinne einer Ambiguitätstoleranz in die professionelle Praxis eingeschlossen.

Kleve, H. [2009]: Ein Evergreen der Verunsicherung : Professionelle Identität in der Sozialen Arbeit - von der Moderne zur Postmoderne. In: Geißler- Piltz, B./ Gerull, S. (Hrsg.): Soziale Arbeit im Gesundheitswesen : Wissen, Expertise und Identität in multiprofessionellen Settings. Opladen: Budrich UniPress.

Biografische Daten


  • 1969 geboren in Warin
  • Facharbeiter für Datenverarbeitung
  • von 1992 - 1996 Studium der Sozialen Arbeit an der Alice- Salomon- Hochschule (ASH) in Berlin
  • bis 2001 Arbeit als selbständiger Sozialarbeiter in den ambulanten Hilfen zur Erziehung und der aufsuchenden Sozialpsychiatrie
  • 1998 Promotion zum Dr. phil. im Fach Soziologie
  • seit 1998 Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen
  • 2002 - 2005 Professor an der ASH Berlin im Fachgebiet "Theorie und Geschichte der Sozialen Arbeit"
  • seit 2005 Professor an der FH Potsdam mit dem Schwerpunkt "Soziologische und sozialpsychologische Grundlagen sowie Fachwissenschaft der Sozialen Arbeit"
  • Weiterbildung zum Konfliktmediator, Systemischen Berater sowie Supervisor